Zustimmungsbedürftige Maßnahmen in der WEG: Praktische Beispiele und was Sie wissen müssen
Was passiert, wenn du in deiner Wohnung eine neue Fensterbank einbauen willst - und plötzlich brauchst du die Zustimmung von 15 anderen Menschen? In einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) ist das keine Ausnahme, sondern Regel. Viele Eigentümer glauben, sie könnten frei über ihr Sondereigentum verfügen. Doch das ist ein Irrtum. Sobald eine Maßnahme das Gemeinschaftseigentum berührt, gilt: Kein Hammer ohne Beschluss.
Was ist überhaupt zustimmungsbedürftig?
Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) unterscheidet klar zwischen Instandhaltung und Veränderung. Ein neuer Anstrich im Treppenhaus? Das ist Instandhaltung. Kein Beschluss nötig. Aber wenn du die Fenster im Treppenhaus von Holz auf Kunststoff wechselst - das ist eine Veränderung. Und die braucht die Zustimmung der Gemeinschaft.
Die Definition ist einfach: Jede auf Dauer angelegte Maßnahme, die den ursprünglichen Zustand des Gemeinschaftseigentums verändert, ist zustimmungsbedürftig. Das bedeutet: Wenn du etwas an der Fassade, dem Dach, den tragenden Wänden, den Treppenhäusern oder den Gemeinschaftsgärten veränderst, musst du die anderen Eigentümer fragen.
Warum? Weil diese Bereiche nicht dir gehören - sie gehören allen. Und jeder hat ein Recht darauf, dass das Gebäude nicht nach Belieben umgebaut wird. Ein Balkon, der nach außen vergrößert wird, nimmt Platz vom gemeinsamen Dachvorsprung. Eine Klimaanlage an der Fassade verändert das Gesamtbild. Und das betrifft alle - auch die, die nicht mitmachen wollen.
Beispiele: Was braucht Zustimmung?
- Fenster und Balkontüren austauschen: Selbst wenn du nur die alten Holzfenster gegen moderne Isolierverglasung tauscht - wenn die Fenster zum Gemeinschaftseigentum gehören (was fast immer der Fall ist), brauchst du die Zustimmung. Die Teilungserklärung sagt, ob sie Sondereigentum oder Gemeinschaftseigentum sind. Meistens: Gemeinschaft.
- Klimaanlagen oder Lüftungsanlagen an der Fassade montieren: Ob Klimaanlage, Wärmepumpe oder Lüftungsgerät - wenn es an der Außenwand installiert wird, verändert es das Erscheinungsbild. Das ist eine bauliche Veränderung. Selbst wenn es nur eine kleine Einheit ist: Der BGH hat entschieden, dass selbst Markisen als Veränderung gelten können, wenn sie das Gesamtbild stören.
- Balkone vergrößern oder überdachen: Ein Wintergarten oder eine Glasverglasung am Balkon? Das ist kein kleiner Umbau - das ist eine Erweiterung des Wohnraums auf Kosten des Gemeinschaftseigentums. Das ist nicht erlaubt, ohne Zustimmung. Und selbst wenn du alles selbst bezahlst: Die anderen Eigentümer müssen zustimmen.
- Tragende Wände durchbrechen: Das ist nicht nur zustimmungsbedürftig - das ist lebensgefährlich. Jede Veränderung an einer tragenden Wand beeinflusst die Statik des ganzen Hauses. Hier brauchst du nicht nur die Zustimmung, sondern auch einen statischen Nachweis. Ohne das: Kein Beschluss, kein Bauamt, kein Baustart.
- Dachterrassen oder Aufbauten auf dem Dach: Ob du eine Terrasse bauen willst oder eine Solaranlage installierst - das Dach ist Gemeinschaftseigentum. Jede Veränderung braucht die Zustimmung. Und auch hier: Die Kosten werden nach den Miteigentumsanteilen verteilt. Du kannst nicht einfach alles allein bezahlen und machen.
- Satellitenschüsseln oder Antennen an der Fassade: Selbst wenn du nur eine kleine Schüssel anbringen willst - wenn sie sichtbar ist, ist das eine Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes. Die meisten WEGs verbieten das, es sei denn, es gibt eine einheitliche Lösung (z. B. eine zentrale Antennenanlage).
Was braucht KEINE Zustimmung?
Nicht alles, was du veränderst, braucht einen Beschluss. Hier sind Beispiele, die du ohne Zustimmung machen darfst:
- Innenausbau: Neue Bodenfliesen, Wandfarbe, Einbauküche, Türen im eigenen Wohnbereich - das ist Sondereigentum. Keine Zustimmung nötig, solange du keine Wand durchbrichst oder die Statik beeinflusst.
- Ersatzbepflanzung im Garten: Wenn eine Hecke abgestorben ist und du sie durch eine neue ersetzt - das ist Instandhaltung, keine Veränderung. Du darfst das machen, ohne um Zustimmung zu bitten.
- Reinigung und Pflege: Den Gehweg kehren, die Blumenbeete jäten, die Treppen staubsaugen - das sind Pflichten, keine baulichen Maßnahmen.
- Wartung von Heizung oder Sanitär: Wenn du den Heizkessel tauscht, aber die Leitungen nicht verlegst, ist das Instandsetzung. Keine Zustimmung nötig - solange du keine neuen Leitungen durch die Wand ziehst.
Die Rolle der Teilungserklärung
Die Teilungserklärung ist das Fundament deiner WEG. Sie ist ein notariell beurkundetes Dokument, das genau festlegt, was Sondereigentum und was Gemeinschaftseigentum ist. Und sie kann noch viel mehr: Sie kann Regeln verschärfen.
Stell dir vor, die Teilungserklärung sagt: „Jede Veränderung an der Fassade erfordert die einstimmige Zustimmung aller Eigentümer.“ Dann gilt das - selbst wenn das WEG nur eine einfache Mehrheit verlangt. Die Teilungserklärung hat Vorrang.
Aber sie kann auch lockern: Einige WEGs erlauben den Einbau von Photovoltaik-Anlagen ohne Zustimmung, wenn sie bestimmte Vorgaben erfüllen. Das ist selten, aber möglich. Deshalb: Lies deine Teilungserklärung. Nicht nur einmal. Jedes Mal, wenn du eine Maßnahme planst.
Privilegierte Maßnahmen: Barrierefreiheit und Energie
Es gibt Ausnahmen - und die sind wichtig. Nach § 20 Abs. 2 WEG haben Eigentümer einen Anspruch auf Zustimmung für sogenannte privilegierte Maßnahmen. Das sind:
- Barrierefreie Umbauten (z. B. Aufzug, Rampen, breitere Türen)
- Energetische Sanierungen (z. B. Dämmung, neue Fenster, Wärmepumpe)
- Installation von Ladestationen für Elektroautos
Das bedeutet: Wenn du eine Rampe für deinen Rollstuhl bauen willst, und die Mehrheit der Eigentümer sagt „Nein“, kannst du vor Gericht ziehen. Das Gericht muss dir dann die Zustimmung zwingend erteilen. Das ist kein Luxus - das ist ein Recht.
Und das ist auch der Grund, warum viele WEGs heute energieeffizienter werden. Eigentümer, die Photovoltaik oder Wärmepumpen einbauen wollen, können nicht einfach abgelehnt werden - wenn sie den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ist ein großer Wandel seit der WEG-Reform 2020.
Wie läuft die Zustimmung ab?
Die Zustimmung wird in der Eigentümerversammlung beantragt und beschlossen. Der Ablauf ist klar:
- Du reichst einen schriftlichen Antrag bei der Hausverwaltung ein. Mit detaillierter Beschreibung, Plänen, Kostenübersicht und eventuell Gutachten.
- Die Verwaltung lädt zur Versammlung ein. Die Einladung muss spätestens 14 Tage vorher verschickt werden.
- In der Versammlung wird abgestimmt. Seit 2020 reicht für die meisten Maßnahmen eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
- Wenn die Mehrheit zustimmt: Beschluss wird protokolliert. Du bekommst eine schriftliche Bestätigung.
- Wenn die Mehrheit ablehnt: Du kannst nur dann klagen, wenn es sich um eine privilegierte Maßnahme handelt.
Wichtig: Die Hausverwaltung kann nicht allein entscheiden. Sie vermittelt, dokumentiert, organisiert - aber sie ersetzt nicht die Eigentümer. Einige Verwalter versuchen, das zu ignorieren. Das ist illegal.
Was passiert, wenn du ohne Zustimmung baust?
Wenn du ohne Beschluss an der Fassade bohrst, einen Balkon erweiterst oder eine Klimaanlage montierst - dann riskierst du mehr als nur Ärger. Du riskierst:
- Eine Auflage der Gemeinschaft: Du musst die Maßnahme rückgängig machen - auf eigene Kosten.
- Eine Klage: Andere Eigentümer können dich auf Unterlassung verklagen.
- Einen Schadensersatzanspruch: Wenn deine Maßnahme den Wert der Immobilie senkt, kannst du zur Kasse gebeten werden.
- Eine Verkaufssperre: Wenn du deine Wohnung verkaufen willst, muss der Käufer wissen, ob alle Baumaßnahmen genehmigt sind. Ohne Zustimmung: Kein Kaufvertrag.
Es gibt Fälle, in denen Eigentümer jahrelang ohne Zustimmung gebaut haben - und dann beim Verkauf plötzlich mit einer Rechnung von 20.000 Euro konfrontiert wurden, weil sie die Maßnahme rückbauen mussten. Das ist kein Horrorfilm - das ist Realität.
Tipps für die Praxis
- Frage früh: Bevor du einen Architekten beauftragst, frag die Verwaltung: „Ist das zustimmungsbedürftig?“
- Prüfe die Teilungserklärung: Lese sie. Nicht nur einmal. Jedes Mal, wenn du planst.
- Sei transparent: Zeige Pläne, Fotos, Kosten. Je offener du bist, desto eher bekommst du Zustimmung.
- Denke an die Gemeinschaft: Warum sollte jemand zustimmen? Zeige, wie die Maßnahme den Wert steigert - z. B. durch Energieeinsparung oder Barrierefreiheit.
- Dokumentiere alles: Schreibe alles auf. E-Mails, Protokolle, Zustimmungserklärungen. Falls es später Streit gibt, brauchst du Beweise.
Die meisten Streitfälle in WEGs entstehen nicht wegen Geld, sondern wegen Kommunikation. Wer offen und respektvoll vorgeht, bekommt meistens Zustimmung. Wer überrascht und fordernd agiert, landet vor Gericht.
Was kommt als Nächstes?
Die Rechtsprechung wird sich weiter verändern. Photovoltaik, E-Ladestationen, Smart-Home-Systeme - all das wird in Zukunft immer häufiger Thema sein. Die WEG-Reform 2020 hat den Weg geebnet. Aber die Praxis hinkt noch hinterher.
Ein Trend: Immer mehr WEGs beschließen einheitliche Lösungen - z. B. eine zentrale Solaranlage auf dem Dach, die alle nutzen. Das spart Kosten, vereinfacht die Zustimmung und macht die Immobilie wertvoller.
Die Zukunft gehört den Gemeinschaften, die zusammenarbeiten - nicht die, die sich gegenseitig blockieren.
Brauche ich Zustimmung, wenn ich nur die Fensterfarbe ändere?
Ja, wenn die Fenster zum Gemeinschaftseigentum gehören - was fast immer der Fall ist. Selbst eine Farbänderung verändert das äußere Erscheinungsbild. Das ist eine bauliche Veränderung im Sinne des WEG. Nur wenn die Fenster ausdrücklich als Sondereigentum in der Teilungserklärung aufgeführt sind, kannst du sie frei gestalten.
Kann die Hausverwaltung mir die Zustimmung verweigern?
Nein. Die Hausverwaltung hat kein Entscheidungsrecht. Sie kann nur den Antrag vorbereiten, die Versammlung einberufen und den Beschluss dokumentieren. Die Zustimmung muss von den Eigentümern in der Versammlung beschlossen werden. Wenn die Verwaltung dir sagt „Nein“, dann ist das rechtlich ungültig - es sei denn, sie leitet den Beschluss ab, den die Gemeinschaft gefasst hat.
Was ist, wenn ein Eigentümer nicht zur Versammlung kommt?
Er muss nicht anwesend sein, um abzustimmen. Er kann per Brief, E-Mail oder Bevollmächtigtem abstimmen - wenn das in der Teilungserklärung erlaubt ist. Die Stimme zählt trotzdem. Wenn er nicht abstimmt, gilt das als Enthaltung. Die Mehrheit berechnet sich nur aus den abgegebenen Stimmen - nicht aus allen Eigentümern.
Kann ich eine Maßnahme durchführen, wenn nur ein Eigentümer dagegen ist?
Ja - aber nur, wenn es keine einstimmige Zustimmung verlangt. In der Regel reicht eine einfache Mehrheit. Ausnahmen: Wenn die Teilungserklärung einstimmige Zustimmung verlangt (z. B. bei Fassadenänderungen), oder wenn die Maßnahme den anderen Eigentümer unbillig benachteiligt. Dann kann der Widerspruch erfolgreich angefochten werden.
Was kostet es, wenn ich gegen einen Beschluss klage?
Kosten für eine Klage hängen vom Streitwert ab - meist zwischen 5.000 und 20.000 Euro. Aber: Wenn du eine privilegierte Maßnahme beantragst (z. B. Barrierefreiheit) und die Gemeinschaft sie ablehnt, hast du eine hohe Erfolgschance. Die Gerichte unterstützen solche Maßnahmen. In solchen Fällen ist die Klage oft sinnvoll - und manchmal sogar günstiger als die Rückbaukosten.