Energieausweis bei Besichtigung: So lesen Sie die Kennwerte richtig

Energieausweis bei Besichtigung: So lesen Sie die Kennwerte richtig
Dez, 8 2025

Beim Besichtigen einer Wohnung oder eines Hauses ist der Energieausweis oft das erste Dokument, das der Vermieter oder Makler vorlegt. Viele Interessenten schauen nur kurz drauf, sehen die Farbe - grün oder rot - und denken, sie hätten alles verstanden. Doch das ist ein Fehler. Der Energieausweis enthält Zahlen, die über Heizkosten, Komfort und sogar den zukünftigen Wert der Immobilie entscheiden. Wer ihn nicht richtig liest, läuft Gefahr, eine teure Falle zu mieten oder zu kaufen.

Was steht eigentlich im Energieausweis?

Der Energieausweis ist kein bloßer Formularstempel. Er ist ein offizielles Dokument, das nach dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) seit 2020 verpflichtend ist. Er zeigt zwei zentrale Werte: den Endenergiebedarf und den Primärenergiebedarf. Beide werden in Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr angegeben: kWh/(m²·a).

Der Endenergiebedarf sagt aus, wie viel Energie das Gebäude tatsächlich für Heizung und Warmwasser braucht. Das ist der Wert, der direkt auf Ihre Heizkosten abzielt. Je niedriger, desto besser. Ein Wert von 50 kWh/(m²·a) ist gut, 180 kWh/(m²·a) ist schlecht. Aber Achtung: Dieser Wert allein verrät nicht, wie viel Sie am Ende zahlen. Denn die Preise für Gas, Strom oder Öl schwanken. Ein Haus mit 80 kWh/(m²·a) kann teurer sein als eines mit 100 kWh/(m²·a), wenn der Vermieter teuren Strom für die Heizung nutzt.

Der Primärenergiebedarf ist komplexer. Er berücksichtigt nicht nur, was das Haus verbraucht, sondern auch, wie viel Energie nötig war, um den Brennstoff zu gewinnen, zu transportieren und umzuwandeln. Holzpellets oder Erdgas haben einen höheren Primärenergieaufwand als Solarstrom. Deshalb kann ein Haus mit Photovoltaik auf dem Dach einen niedrigeren Primärenergiewert haben als ein gleiches Haus ohne Solaranlage - obwohl der Endenergiebedarf gleich ist. Für Umweltbewusste ist dieser Wert entscheidend. Er zeigt, wie klimafreundlich das Gebäude wirklich ist.

Die Farbskala: Von A+ bis H

Der Energieausweis zeigt die Energieeffizienzklasse als Farbcode: grün für gut, rot für schlecht. Die Klassen reichen von A+ bis H. Das ist der erste Blick, den jeder Interessent macht. Aber was bedeuten die Zahlen dahinter?

  • A+: unter 30 kWh/(m²·a) - Passivhaus-Standard, sehr selten, aber ideal
  • A: unter 50 kWh/(m²·a) - modern, gut gedämmt, oft mit Wärmepumpe
  • B: unter 75 kWh/(m²·a) - nach 2000 gebaut, solide Sanierung
  • C: unter 110 kWh/(m²·a) - Standard nach 2009, meist mit moderner Heizung
  • D: unter 130 kWh/(m²·a) - älteres Haus, aber saniert
  • E: unter 160 kWh/(m²·a) - ungedämmt, aber mit neuer Heizung
  • F: unter 200 kWh/(m²·a) - typisch für Häuser aus den 70er/80er Jahren
  • G: unter 250 kWh/(m²·a) - hohe Heizkosten, Sanierung dringend nötig
  • H: über 250 kWh/(m²·a) - energetisch veraltet, kaum noch marktfähig

Ein Haus mit Klasse F oder schlechter kostet im Jahr bis zu 1.000 Euro mehr an Heizkosten als ein Haus mit Klasse C. Das macht sich über zehn Jahre zu 10.000 Euro oder mehr bemerkbar. Und das ist nur die Heizung - die Warmwasserbereitung kommt noch dazu.

Bedarfsausweis oder Verbrauchsausweis - was ist der Unterschied?

Nicht jeder Energieausweis ist gleich. Es gibt zwei Arten: den Bedarfsausweis und den Verbrauchsausweis. Die meisten Immobilienanzeigen geben nur den Verbrauchsausweis an - und das ist oft irreführend.

Der Verbrauchsausweis basiert auf den tatsächlichen Heizkosten der letzten drei Jahre. Klingt logisch, oder? Aber er sagt nur, wie die Vormieter gelebt haben. Wenn die vorherigen Mieter den Thermostat auf 18 Grad gedreht, Fenster nie geöffnet und die Heizung abgeschaltet haben, wenn sie weg waren, dann erscheint das Haus als sparsam. In Wirklichkeit ist es ein energetisches Wrack. Ein typischer Fall aus Freiburg: Ein Haus mit Klasse E im Ausweis, aber die neuen Mieter zahlen 200 kWh/(m²·a) - weil die Wände kalt sind und die Fenster undicht. Der Verbrauchsausweis hat sie getäuscht.

Der Bedarfsausweis hingegen berechnet den Energiebedarf anhand der baulichen Gegebenheiten: Dämmung, Fenster, Heizungsanlage, Luftdichtheit. Er ist objektiv. Er sagt: „Dieses Haus hat einen schlechten Wärmeschutz, egal, wie der Mieter lebt.“ Er ist verpflichtend für Neubauten ab 2014 und bei umfassenden Sanierungen. Der Nachteil? Er kostet 300 bis 800 Euro - doppelt so viel wie der Verbrauchsausweis. Aber er ist der einzige, der Ihnen die Wahrheit sagt.

Laut einer Studie des GdW sind 68 % der Energieausweise in Deutschland Verbrauchsausweise. Das ist kein Zufall. Sie sind günstiger und oft besser aussehend. Aber sie sind keine Garantie für niedrige Kosten.

Vergleich von Bedarfs- und Verbrauchsausweis mit baulichen und verbrauchsbasierten Daten.

Was Sie beim Besichtigungstermin prüfen müssen

Beim Besichtigungstermin ist der Energieausweis nicht nur ein Formular - er ist Ihr Schutzschild. Hier ist, was Sie unbedingt prüfen müssen:

  1. Stellen Sie den Ausweis sofort an. Er muss vorliegen. Wer ihn nicht hat, riskiert ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro - und Sie als Interessent haben ein Recht darauf. Wenn er nicht da ist, verlassen Sie die Wohnung. Das ist kein Unfall, das ist Verstoß gegen das Gesetz.
  2. Suchen Sie die Energieeffizienzklasse. Sie steht auf Seite 2 oder 3, meist als Farbskala. Prüfen Sie, ob die Klasse auch in der Immobilienanzeige steht. Wenn nicht, ist die Anzeige unzulässig. Die Verbraucherzentrale hat 2023 über 1.200 Fälle gemeldet, in denen die Klasse fehlte.
  3. Prüfen Sie, ob es ein Bedarfs- oder Verbrauchsausweis ist. Bei Bedarfsausweisen ist nur die linke Seite ausgefüllt, bei Verbrauchsausweisen nur die rechte. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie direkt: „Ist das ein Bedarfs- oder Verbrauchsausweis?“
  4. Lesen Sie den Primärenergiebedarf. Er steht nicht immer auf dem Verbrauchsausweis - aber wenn er da ist, nehmen Sie ihn ernst. Ein Haus mit guter Klasse, aber hohem Primärenergiebedarf nutzt vielleicht teuren Strom. Ein Haus mit schlechter Klasse, aber niedrigem Primärenergiebedarf hat wahrscheinlich Solarstrom auf dem Dach.
  5. Frage nach der Heizungsanlage. Ein Haus mit Klasse C, aber einer alten Ölheizung ist kein Schnäppchen. Die Heizung wird bald ersetzt - und das kostet 10.000 bis 20.000 Euro. Fragt man nicht, wird man später betrogen.

Ein erfahrener Mieter aus Berlin berichtete im Forum: „Ich sah einen Verbrauchsausweis mit 95 kWh/(m²·a). Die Vormieter waren Rentner, die den ganzen Tag zu Hause waren - und dennoch nur 100 Euro Heizkosten pro Monat zahlten. Ich fragte nach: Sie hatten eine alte Gasheizung, aber eine Wärmepumpe im Keller. Die hat den Verbrauch gedrückt. Ich hätte den Mietvertrag unterschrieben - wenn ich nicht nachgefragt hätte.“

Was Sie nicht vergessen dürfen

Der Energieausweis ist kein Endpunkt - er ist ein Anfang. Er sagt Ihnen, wo das Haus steht. Aber nicht, wo es hingeht.

Ein Haus mit Klasse F kann mit einer neuen Dämmung, neuen Fenstern und einer Wärmepumpe auf Klasse B gebracht werden. Das kostet 30.000 bis 50.000 Euro - aber es erhöht den Wert um 10-15 %. Die European Mortgage Federation prognostiziert, dass Gebäude mit Klasse A+ bis C bis 2027 bis zu 12,7 % mehr wert sind als solche mit Klasse F oder schlechter.

Und es gibt noch etwas: Seit 2024 können in Berlin und Brandenburg digitale Energieausweise verwendet werden. Sie sind leichter zu prüfen, weil sie mit QR-Codes verknüpft sind. In anderen Bundesländern ist das noch nicht Pflicht - aber bald wird es kommen. Die Bundesregierung plant ab 2026 einen CO2-Kennwert im Energieausweis. Dann wird nicht nur die Energie, sondern auch der CO2-Ausstoß sichtbar.

Wenn Sie einen Energieausweis sehen, denken Sie nicht nur an die Heizkosten. Denken Sie an die Zukunft. An den Wert Ihrer Investition. An Ihre Umweltbilanz. Und an die Tatsache: Wer den Ausweis nicht prüft, zahlt später doppelt - in Geld, Komfort und Stress.

Sanierung eines energiearmen Hauses von Klasse H zu Klasse A mit Solaranlage und Wärmepumpe.

Was ist mit dem GEG und Bußgeldern?

Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) ist streng. Wer den Energieausweis nicht bei der Besichtigung vorlegt, riskiert ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. Das klingt dramatisch - aber es passiert. Der Deutsche Immobilienverband (IVD) sagt: 63 % der Bußgelder entstehen, weil Makler und Vermieter nicht wissen, dass der Ausweis bei der Besichtigung vorgelegt werden muss - nicht erst beim Vertragsabschluss.

Das ist ein häufiger Fehler. Viele denken: „Ich zeige ihn beim Kauf.“ Doch das Gesetz sagt: spätestens bei der Besichtigung. Und das gilt für Wohnungen, Häuser, Gewerberäume - alles. Nur bei Immobilien mit weniger als fünf Wohnungen gibt es Ausnahmen. Aber die sind selten.

Die Bundesstelle für Energieeffizienz hat 1.847 zertifizierte Stellen in Deutschland, die Energieausweise ausstellen. Sie sind nicht kostenlos, aber sie sind die einzige legitime Quelle. Wer einen Ausweis von einem Privatmann oder einem Online-Generator bekommt, hat einen falschen Ausweis. Und der ist rechtlich wertlos.

Was kommt als Nächstes?

Der Energieausweis wird sich weiterentwickeln. Ab 2026 wird er nicht nur die Energieeffizienzklasse zeigen, sondern auch den CO2-Ausstoß pro Quadratmeter. Dann wird klar: Ein Haus mit Klasse C, das mit Gas heizt, ist klimaschädlicher als ein Haus mit Klasse D, das mit Solarstrom heizt.

Die Immobilienbranche ändert sich. Käufer und Mieter fragen nach der Energieklasse - und sie zahlen dafür. 73 % der Käufer und 68 % der Mieter nennen sie „sehr wichtig“ oder „wichtig“. Wer den Ausweis ignoriert, verliert nicht nur Geld - er verliert den Markt.

Muss der Energieausweis bei jeder Besichtigung vorgelegt werden?

Ja, laut § 16a GEG muss der Energieausweis spätestens beim Besichtigungstermin vorgelegt werden. Das gilt für alle Wohn- und Nichtwohngebäude. Wer ihn nicht hat, riskiert ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. Auch wenn der Vermieter sagt, er „habe ihn noch nicht“, ist das kein gültiger Grund.

Kann ich den Energieausweis in der Immobilienanzeige sehen?

Ja, und zwar verpflichtend. In jeder Anzeige müssen der Energieausweistyp, die Energieeffizienzklasse und der Endenergiebedarf oder -verbrauch angegeben sein. Fehlt eine dieser Angaben, ist die Anzeige rechtswidrig. Viele Vermieter ignorieren das - aber Sie haben das Recht, sich zu beschweren.

Ist ein Verbrauchsausweis immer schlecht?

Nein, aber er ist unzuverlässig. Er sagt, wie die Vormieter gelebt haben - nicht, wie das Haus ist. Ein Haus mit schlechter Dämmung kann einen niedrigen Verbrauch haben, wenn die Mieter sparsam sind. Ein Bedarfsausweis ist objektiv - er misst die bauliche Qualität, nicht das Verhalten. Für eine fundierte Entscheidung ist er besser.

Was bedeutet es, wenn der Primärenergiebedarf niedriger ist als der Endenergiebedarf?

Das ist ein starkes Zeichen für erneuerbare Energien. Wenn das Haus Photovoltaik oder eine Solarthermie-Anlage hat, wird die selbst erzeugte Energie mit einem Faktor von Null bewertet. Dadurch sinkt der Primärenergiebedarf - sogar unter den Endenergiebedarf. Das ist ein guter Hinweis auf eine klimafreundliche Immobilie.

Wie lange ist ein Energieausweis gültig?

Der Energieausweis ist zehn Jahre gültig. Danach muss er erneuert werden, besonders wenn das Gebäude saniert wird. Ein alter Ausweis aus 2018 kann heute schon veraltet sein, weil sich die Berechnungsgrundlagen seit 2014 geändert haben. Vergleichen Sie nie Ausweise aus verschiedenen Jahren - sie sind nicht vergleichbar.

Was tun, wenn der Ausweis fehlt oder unvollständig ist?

Wenn der Vermieter den Energieausweis nicht vorlegen kann, oder wenn die Angaben unvollständig sind - etwa fehlt die Energieeffizienzklasse - dann verlassen Sie die Besichtigung. Notieren Sie sich den Namen des Maklers oder Vermieters. Melden Sie den Fall bei der Verbraucherzentrale. Sie haben ein Recht auf vollständige Informationen.

Ein fehlender Energieausweis ist kein kleiner Fehler. Er ist ein Warnsignal. Er sagt: „Wir wollen nicht, dass Sie wissen, wie schlecht das Haus ist.“ Und das ist kein Versehen - das ist Absicht.

Der Energieausweis ist kein Papier, das man unterschreibt. Er ist ein Schlüssel - zu Ihren Kosten, zu Ihrer Zukunft, zu Ihrem Zuhause. Lesen Sie ihn. Verstehen Sie ihn. Und fragen Sie nach, wenn etwas nicht stimmt. Denn wer den Ausweis ignoriert, zahlt später mit Zinsen - in Geld, Komfort und Zeit.